Wie ich dazu kam, dieses Buch zu schreiben

Den Tod Osama Bin Ladens und die Verhaftung von Radko Mladic knapp vor Veröffentlichung meines Buches habe ich zwar nicht bestellt, aber beides hat mich mit Erleichterung und mit Genugtuung erfüllt. Das mag politisch nicht ganz korrekt sein, aber das versuche ich auch gar nicht. Das Massaker eines scheinbar verrückten „Einzeltäters“ namens Anders Breivik hat mich hingegen nicht nur entsetzt, sondern auch mit großer Wut erfüllt. Mit Wut, da es in Europa offenbar wieder möglich ist, ein derartiges Klima von Verhetzung und Hass gegenüber anderen Volks- oder Religionsgruppen zu schaffen, dass psychisch labile Menschen dazu animiert werden, solche Taten auszuführen. Und alle die, die dieses politische Klima verursacht haben, wollen damit natürlich nichts zu tun haben. Im Gegenteil, sie gerieren sich, wie meist in solchen Fällen, sogar selbst als Opfer. Als Opfer von liberaler, „linksfaschistischer Medienhetze“, die ihnen sogar unterstellen wolle, dass sie verantwortlich seien für die Taten eines so offensichtlich Verrückten. Und indem sie so ihre Verantwortung abschieben, erzeugen sie weiterhin genau dieses Klima, welches solche Taten erst ermöglicht. Soweit zu den aktuellsten Ereignissen.

Mit den verschiedenen Ausformungen von Fanatismus/Fundamentalismus befasse ich mich allerdings schon seit langem. Unausweichlich, denn als Kind jüdischer Kommunisten, war es nahezu unmöglich, sich dieser Thematik nicht zu stellen. Faschismus, Rassismus und Holocaust, waren die bestimmenden und oft belastenden Themen seit frühester Kindheit. Die kritische Auseinandersetzung mit den stalinistischen Entartungen in den sich kommunistisch nennenden Staaten, mit all ihren furchtbaren Konsequenzen, beschäftigte mich und meine Familie. Als Konsequenz dieser Auseinandersetzung wurden meine Eltern aus der KPÖ ausgeschlossen und ich bin nicht, so wie ich es mir als Jugendlicher noch ganz romantisch vorstellte, mit 20 Jahren in diese Partei eingetreten.

Als Psychotherapeut, der ich nun seit 30 Jahren bin, werde ich beinahe täglichen mit Patientengeschichten konfrontiert, die die vielseitigen Beziehungen von Tätern und Opfern beschreiben. Vor allem nach den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien hatte ich intensive Begegnungen mit Menschen, die durch die Schrecken dieser Kriege gehen mussten. Kriege, die wie schon so oft mit nationalistischen und auch religiösen Parolen angeheizt wurden.

Speziell möchte ich hier einige therapeutische Kontakte mit jungen Serben hervorheben. Menschen, die diese Kriege nur aus der Ferne, aus Österreich, mitbekamen, die weder aktiv involviert noch begeistert über die Taten ihrer „Landsleute“ waren. Im Gegenteil, die sich geschämt haben für die Verbrechen, die im Namen eines obskuren Serbentums verübt wurden, und die darunter gelitten haben, als Serben ständig wie Schuldige behandelt zu werden, ja die sich schon selbst begonnen hatten, wie Schuldige zu fühlen.

Ich erwähne diese Kontakte deshalb, weil sie mich so sehr an Begegnungen erinnerten, die ich in der Zeit, als ich in Deutschland arbeitete, mit vielen befreundeten Deutschen hatte. Liebe Menschen, Freunde, bei denen lang noch große Befangenheit im Kontakt zu mir als Juden mitschwang, die sich erst mühsam von ihren Schuldgefühlen, Nachkommen von „Verbrechern“ zu sein, lösen mussten. Deutsche, die es nicht fassen konnten, dass ich mit ihnen als Mensch zu Mensch Kontakt haben wollte. Dass es mir nur wichtig war zu wissen, was sie aktuell dachten und wie sie aktuell handelten, und nicht von wem sie abstammten. Dass ich als Jude also niemanden verurteilte, Deutscher zu sein.

Wie man sieht, begleiten mich also Themen wie nationale oder ethnische Identität, Rassismus, nationaler, religiöser und politischer Fanatismus, Schuld und Versöhnung gewissermaßen schon lange. Nach den Ereignissen am 11. September 2001 kurz 9/11 genannt und dem seit damals immer stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückten islamistischen Terror, war es für mich unumgänglich, mich mit dieser komplexen Thematik tiefer auseinanderzusetzen. Als Mensch, als Psychotherapeut und als politisch denkender und handelnder Holocaustnachkomme der zweiten Generation. Und irgendwann reifte in mir der Gedanke, meine Erfahrungen zu einem Buch werden zu lassen. Den letzten Anstoß dazu gab mir ein Erlebnis, dass mein Sohn in seiner Schulklasse hatte und das ihn unmittelbar mit dummem, unreflektierten Antisemitismus konfrontierte. (Siehe „Ich dachte es sei vorbei“).
Ich habe mich bemüht, dieses Buch
so zu schreiben, wie ich mich auch als Psychotherapeut (Gestalttherapie) bemühe zu arbeiten. Sachlich und differenziert, gleichzeitig aber auch geleitet von meinen persönlichen Erfahrungen und meinen persönlichen Gefühlen. Ich bin neutraler Zeuge und Analyst eines Geschehens und ich bin immer wieder auch unvermeidbar parteiisch, zum Beispiel kann ich Fanatiker überhaupt nicht leiden. Das spiegelt sich sicher auch im Text wieder. Auch wenn ich versuche ihre Motive, das, was sie antreibt, zu verstehen und sachlich zu beschreiben.
Jemanden verstehen zu wollen, heißt nicht Einverständnis herzustellen. Verstehen heißt nur, Veränderungen möglich zu machen. Wer versucht, nur Symptome zu bekämpfen, ohne ihre Ursachen zu verstehen, schafft meist nur neue Probleme. Das erlebe ich in meiner Arbeit als Psychotherapeut täglich. Und für die Politik gilt wohl dasselbe.
Ich richte mich mit meinem Text vornehmlich an politisch interessierte am Weltgeschehen teilnehmende Menschen. Ich wollte ein seriöses, anspruchsvolles, für „Laien“ nachvollziehbares Sachbuch und kein hochtheoretisches, abstraktes Fachbuch schreiben. Aber auch KollegInnen sollten genügend interessante Gedanken, neue Sichtweisen und interessante Anregungen vorfinden.

Copyright Dr. Johann Lauber 2011